Die Stimme des Gewissens gibt selten eindeutige Ratschläge

Doch auch wenn man der eigenen Stimme des Gewissens gut zuhört, muss man weiterhin darauf achten, warum sie sagt, was sie sagt. Ina Schmidt erläutert: „Denn die Stimme des Gewissens hat selten eindeutige Ratschläge.“ Die Stimme des Gewissens ruft meist zunächst dazu auf, die Gründe des eigenen Handelns zu überprüfen. Die Unterscheidung zwischen einer Gesinnungs- und einer Verantwortungsethik geht auf den Soziologen Max Weber zurück. Sie ist in vielen ethischen Fragen noch immer maßgeblich. Die Entscheidung, Verantwortung übernehmen zu wollen, mag dabei helfen, einem Gefühl des Unbehagens und der Verunsicherung entgegenzutreten. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.

In allen menschlichen Lebensformen gilt das Prinzip der Verantwortung

Ina Schmidt betont: „Verantwortung ist das, was wir als persönliche Suche nach Antworten aus guten Gründen und einer inneren Überzeugung heraus für das Gute halten.“ Auch wenn man die Welt nicht retten wird, weil man ab morgen weniger Fleisch isst, nicht mehr schlecht über andere Leute spricht, sich für Geflüchtete einsetzt oder sein Auto abschafft. Verantwortung zu übernehmen bedeutet nicht, Lösungen zu präsentieren, sondern sich im Rahmen des Möglichen dafür einzusetzen, dass die Welt nicht schlechter, sondern besser wird.

Sich dafür entscheiden zu können, ist bereits eine Form von Privileg, das ein wohlanständiges Leben in der demokratischen Freiheit bietet. Aber in allem menschlichen Lebensformen gilt dennoch das Prinzip der Verantwortung, das ganz unabhängig von den materiellen Möglichkeiten des Einzelnen greift. Der Versuch einer zugeneigten Haltung zu ebendieser Welt, die man vorfindet, ist der diejenigen, die dazu in der Lage sind, mehr beitragen können als andere.

Eine Hermeneutik der Liebe ist eine Form der Zuneigung und Fürsorge

Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge schreiben in „Trotzdem“: „Das Warme, die Freundlichkeit und Güte, das sind die Dinge, auf die es ankommt. Hohe Intelligenz und umfassende Bildung bedeuten nichts, wenn sie nicht menschenfreundlich sind. Sie bleiben leer.“ Eine Ethik der Wahrnehmung scheint Ina Schmidt sehr sinnvoll. Darunter versteht sie das aufmerksame Betrachten dessen, was ist, und die reflektierte Überlegung, was daraus folgen soll.

Die Hermeneutik ist eine geisteswissenschaftliche Methode des Deutens von Texten, des Interpretierens und Auslegens. Ina Schmidt ergänzt: „Eine Hermeneutik der Liebe lässt sich also so beschreiben, dass wir lernen, uns mit etwas vertraut zu machen, es mit Hingabe zu verstehen und zu interpretieren.“ Dabei sollte man sich auch dem zugeneigt widmen, was man nicht auf den ersten Blick liebevoll betrachten würde. Einer Hermeneutik der Liebe geht es nicht um romantische Liebe, sondern eher um eine Form der Zuneigung und Fürsorge, um ein „Wohlwollen“, wie es Aristoteles beschrieben hätte. Quelle: „Die Kraft der Verantwortung“ von Ina Schmidt

Von Hans Klumbies

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