Der Liebende ist „göttlicher“ als der Geliebte

Schon in antiken Texten zur Liebe, zumal in Platons „Symposion“, wird festgehalten, dass der Liebende „göttlicher“ sei als der Geliebte. Der Grund für diese keineswegs schon philosophische Bemerkung liegt für Peter Trawny auf der Hand: „Weil eben im Liebenden der Gott Eros sich spüren lässt – manchmal bis zum Wahnsinn –, ist der, der liebt, „göttlicher“. Weitergedacht ließe sich sagen, dass der Liebende über den Geliebten hinausgehe, weil er der Handelnde ist, der, der sich kümmert.“ Das wird bei Platon betont: In der Schlacht werde der Liebende den Geliebten niemals verlassen, denn das wäre der Gipfel einer Feigheit, deren sich kein Liebender schuldig machen will. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.

Der Geliebte kann nicht rein passiv die Handlungen des Liebenden erwarten

Andererseits betont Platons berühmtester Schüler, nämlich Aristoteles, dass man ich mit dem befreundet sein wolle, der einem keine Freude mache. Peter Trawny erklärt: „Der Philosoph denkt dabei an alte Leute, die in ihrer schlechten Laune, vermutlich aus Verdruss über Krankheiten, wenig interessiert daran sind, etwas für ihre Freunde zu tun.“ Auch der Geliebte scheint sich demnach nicht einfach gehenlassen zu können, rein passiv die Handlungen der Liebenden zu erwarten.

In der Geschichte des Denkens hat sich an vielen Stellen der Unterschied von Aktivität und Passivität auf den von Mann und Frau übertragen. Nicht, dass das immer thematisch würde. Peter Trawny weiß: „Gerade Platon überrascht, da er ja schließlich dem Sokrates das philosophische Liebesgeständnis von einer Frau, von der berühmten Diotima, erklären lässt.“ Bei Xenophon, dem anderen Philosophen, der uns von Sokrates berichtet, geht der zur Hetäre Theodote, das heißt zu einer Prostituierten, um sich darüber belehren zu lassen, wie man Freunde gewinnt.

Pater familias ist das Urmodell des Patriarchats

Andererseits wollte Aristoteles denken, dass der Mann von Natur aus über die Frau herrsche. Wie auch immer: Bis heute scheint sich die Idee durchgesetzt zu haben, dass der Mann insofern handelt, als die Frau passiver Gegenstand dieses Handelns ist. Peter Trawny fügt hinzu: „Wenn diese Differenz dann noch auf die von Mutter und Vater übertragen wird, hat man den Bereich der totalen Fixierung der Geschlechterunterschieds erreicht. Denn mit der psychologischen Belegung dieser Eltern-Unterscheidung wird nun die Mutter zum sorgenden, der Vater zum versorgenden Prinzip.“

Das heißt: Die Mutter sorgt für den Bereich des Hauses, für die Kinder, der Vater für das Haus selbst. Peter Trawny ergänzt: „Dass dem Vater dadurch selbstverständlich Vorrechte auch im Haus entstanden, ist klar: voilà der Pater familias als Urmodell des Patriarchats.“ Peter Trawny würde sogar sagen, dass noch in den Zeiten der fortgeschrittenen Emanzipation der Frau, der MeToo-Debatte, des Queerseins, der Gendertheorie die allermeisten Männer und Frauen dieser Welt noch genau diese Schemata leben und – lieben. Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies