Auwälder zeichnen sich durch eine immense Artenvielfalt aus

Auwälder sind auf kleinem Raum die am unterschiedlichsten gestalteten Wälder. Und die dynamischsten dazu. Josef H. Reichholf betont: „Das drückt sich bestens sichtbar in der Artenvielfalt aus. Wenn die Vögel singen, wird die Vielfalt hörbar. Die Biodiversität der Auwälder ist immens. Für europäische Verhältnisse mutet sie geradezu tropisch-reichhaltig an.“ Dicht nebeneinander gibt es durchströmte Flussarme und stehende Altwasser; Gewässer groß oder klein mit sumpfigen oder steilen Ufern, dazwischen auf Inseln oder an den Uferzonen trockene, sandig kiesige Stellen, die im Sommer sehr heiß werden. Aber es gibt auch feuchtschattige Dickichte auf alten, auf alten, völlig wiederverlandeten Flussarmen. Daneben existiert offener Boden, der noch unbewachsen ist, den das letzte Hochwasser zurückgelassen hat. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

Silberweiden kommen am besten mit dem Hochwasser zurecht

Anschwemmungen, die erst wenige Jahre alt sind, tragen Jungwuchs ganz unterschiedlichen Alters. Josef H. Reichholf fügt hinzu: „Junge Bäume grenzen an Altbestände, die bereits mehr als hundert Jahre alt sein können. Von den Fluten aus- und mitgerissene Bäume, an andere Stellen ans Ufer angeschwemmt, treiben wieder aus und entwickeln einen Minibestand dieser Baumart, zumeist von Silberweiden.“ Diese „Salix alba“ mit ihren schmalen lanzettlichen, unterseits silbrig glänzenden Blättern, kommt von allen Arten am besten mit dem Hochwasser zurecht.

In Buchten gibt es Schilfbestände, Rohrkolbengruppen und anderes Röhricht. An Altwassern lassen sich Verlandungsstadien in geradezu lehrbuchhafter Abfolge studieren, wie die verschiedenen Pflanzenarten von der Tiefe im Wasser bis zum Land einander ablösen. Josef H. Reichholf ergänzt: „Junges grenzt an Altes mit den unterschiedlichsten Alters- und Entwicklungsstadien, Hochwasser zerstört, insbesondere wenn es mit reißender Strömung oder gar mit Eisschollen in den Auwald eindringt.“

Der Auwald ist der artenreichste Lebensraum außerhalb der Tropen

Der Boden kann danach wie rasiert aussehen. Aber darauf folgt ein kraftstrotzender Neuaufbau. Räumliche Vielfalt und zeitliche Dynamik greifen mosaikartig im Auwald ineinander, sodass dieser Waldtyp am unregulierten Fluss, um dies noch einmal zu bekräftigen, der artenreichste Lebensraum außerhalb der Tropen ist. Josef H. Reichholf erläutert: „Sein besonderes Charakteristikum klingt geradezu absurd widersprüchlich: Über extreme Instabilität stabilisiert sich die Auwaldvielfalt.“

Zur Hochwasserdynamik gehört das Niedrigwasser und mit diesem das Trockenfallen von Seitenarmen, Lagunen und Tümpeln. Josef H. Reichholf erklärt: „Dieses Gegenstück ist bei Schifffahrt und Anglern eher von unbeliebter als Hochwasserfluten, weil die Zeiten sehr geringer Wasserführung meistens weitaus länger als ein Hochwasser dauern.“ Flussökologisch ist Niedrigwasser dennoch ein sehr bedeutsamer Teil der Gesamtdynamik. Die normale Schwankungsbreite der Wasserführung bewegt sich im Jahreslauf zumeist beim Fünf- bis Zehnfachen der mittleren Niedrigwasserquote, kann aber erheblich darüber hinausgehen. Quelle: „Flussnatur“ von Josef H. Reichholf

Von Hans Klumbies