Künstliche Intelligenz ist unfähig zum Denken

Die Geschichte der Philosophie ist Martin Heidegger zufolge eine Geschichte der Grundstimmung. Byung-Chul Han fügt hinzu: „Das Denken von René Descartes etwa ist bestimmt vom Zweifel, während das Staunen Platons Denken durchstimmt. Dem „cogito“ von René Descartes liegt die Grundstimmung des Zweifels zugrunde.“ Martin Heidegger zeichnet das Stimmungsbild der neuzeitlichen Philosophie wie folgt: „Ihm [Descartes] wird der Zweifel zu derjenigen Stimmung, in der die Gestimmtheit auf das ens certum, das in Gewissheit Seiende, schwingt.“ Die Stimmung der Zuversicht in die jederzeit erreichbare Gewissheit der Erkenntnis bleibt für Martin Heidegger das pathos und somit die arché der neuzeitlichen Philosophie. Künstliche Intelligenz dagegen hat keine Zugang zu Horizonten, die eher geahnt werden als klar umrissen sind. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Künstliche Intelligenz kann sich keine neuen Tatsachen geben

Diese Ahnung ist aber keine Vorstufe an den Treppen des Wissens. Martin Heidegger verortet die Ahnung im Herzen. Byung-Chul Han erklärt: „Künstliche Intelligenz ist ohne Herz. Das herzhafte Denken ermisst und ertastet Räume, bevor es in Begriffen arbeitet. Darin unterscheidet es sich vom Rechnen, das keiner Räume bedarf.“ Martin Heidegger zufolge wäre Künstliche Intelligenz insofern unfähig zum Denken, als ihr jene Ganzheit verschlossen ist, mit der das Denken seinen Ausgang nimmt.

Die Ganzheit als semantischer Horizont erfasst mehr als jene Zielvorgaben, die Künstliche Intelligenz leiten. Byung-Chul Han weiß: „Das Denken geht ganz anders vor als Künstliche Intelligenz. Die Ganzheit bildet den anfänglichen Rahmen, aus dem heraus Tatsachen gebildet werden. Der Stimmungswechsel als Wechsel des Rahmens gleicht einem Paradigmenwechsel, der neue Tatsachen hervorbringt.“ Künstliche Intelligenz hingegen verarbeitet vorgegebene, sich gleichbleibende Tatsachen. Sie kann sich keine neuen Tatsachen geben.

Die Korrelation stellt die unterste Wissensform dar

Byung-Chul Han stellt fest: „Big Data suggeriert ein absolutes Wissen. Dinge verraten ihre geheimen Korrelationen. Alles wird berechenbar, voraussagbar und steuerbar. Eine ganz neue Ära des Wissens wird angekündigt.“ In Wirklichkeit hat man es mit einer recht primitiven Wissensform zu tun. Das Data-Mining legt Korrelationen frei. Georg Wilhelm Friedrich Hegels Logik zufolge stellt die Korrelation die unterste Wissensform dar. Die Korrelation zwischen A und B besagt: A findet oft zusammen mit B statt.

Bei der Korrelation weiß man nicht, warum es sich so verhält. Es ist einfach so. Byung-Chul Han erläutert: „Die Korrelation zeigt eine Wahrscheinlichkeit und keine Notwendigkeit an. Sie unterscheidet sich vom Kausalverhältnis, das eine Notwendigkeit begründet: A verursacht B.“ Die Wechselwirkung stellt die nächste Wissensstufe dar. Sie besagt: A und B bedingen einander. Festgestellt wird ein notwendiger Zusammenhang zwischen A und B. Auf dieser Wissensstufe wird er aber noch nicht begriffen. Erst der „Begriff“ erfasst den Zusammenhang zwischen A und B. Mittels C wird der Zusammenhang zwischen A und B begriffen. Quelle: „Undinge“ von Byung-Chul Han

Von Hans Klumbies