Der Begriff Nachhaltigkeit verliert an Glaubwürdigkeit

Wenn Ulrich Grober von der Zukunft spricht, von Mutter Erde, von Verbundenheit, darf ein Begriff nicht fehlen: Nachhaltigkeit: „Im globalen Vokabular ist er heute Leitbild für alle Spielarten von Denken und Handeln, die der Zukunft zugewandt sind. Doch momentan verliert er gerade wegen seiner umfassenden Präsenz an Substanz und Glaubwürdigkeit.“ Im Feuerwerk der Reklamesprache und politischen Propaganda droht er zur bloßen „Worthülse“ zu verkommen. Alle reden von Nachhaltigkeit. Ja, Ulrich Grober weiß, Nachhaltigkeit gilt als „sperrig“. Schon dieser Wortkörper: „nach“ und „halt“ und „ig“ und „keit“. Ächz, würg, stöhn. Kaum ein Wort, das den freien Fluss des Atems so stark blockiert. Nachhaltigkeit – ein Zungenbrecher, total unsinnlich. Den Publizisten und Buchautor Ulrich Grober beschäftigt die Verknüpfung von kulturellem Erbe und Zukunftsvisionen.

Nachhaltigkeit ist bestens geeignet für „Greenwashing“

Klar, das Wort ist sperrig. Ulrich Grobers These: Das ist gut so! Es soll sich ja sperren. Nämlich gegen die Einvernahme, den Missbrauch durch Interessen eines hektischen und rücksichtslosen Raubbaus. Ja, Ulrich Grober weiß auch, das Wort gilt als „Plastikwort“. Teflon pur, so wächsern, so toxisch. Reagiert auf nichts. Lässt alles von sich abperlen. Viele rollen nur noch mit den Augen. Worthülse, leeres Wort, bla bla bla. Inflationär verwendet. Und dadurch entwertet, wertlos. Bestens geeignet für „Greenwashing“.

Grün waschen, schönfärben? Ulrich Grober blickt zurück: „Der aus dem Englischen entlehnte Ausdruck weckt Assoziationen an die biblische Geschichte von Golgatha. Dort taucht der römische Statthalter Pontius Pilatus seine Hände in ein Wasserbecken, wäscht sich von der Schuld rein, das Todesurteil für Jesus bestätigt zu haben.“ Die andere Assoziation ist neueren Ursprungs. „Gehirnwäsche“ nannte man im Kalten Krieg die Propaganda der anderen Seite, die manchmal, in Gefangenenlagern beispielsweise, von Folter begleitet war.

Greenwashing ist eine extrem verhängnisvolle Form der Gehirnwäsche

Greenwashing ist eine scheinbar milde, aber extrem verhängnisvolle Form der Gehirnwäsche. Greenwashing erhält gerade einen neuen Schub, und zwar von offizieller politischer Seite. Ulrich Grober erläutert: „Anfang 2022 unternahm die EU-Kommission einen Vorstoß, Investitionen in die Weiterbetreibung und den Neubau von Atomkraftwerken und den fossilen Energieträger Flüssiggas für „nachhaltig“ zu erklären.“ Der Begriff wurde damit komplett ad absurdum geführt.

Nur wenige Wochen später, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, erfolgte unter dem Druck der kriegsbedingen Nahrungsmittelkrise die Rehabilitierung der konventionellen Landwirtschaft mitsamt ihren zerstörerischen Nebenwirkungen. Ulrich Grober fügt hinzu: „Gleichzeitig ließen Finanzinstitute und Investoren prüfen, ob man angesichts der veränderten geopolitischen Bedingungen das Thema Nachhaltigkeit nicht neu auslegen muss.“ Sprich: Auch Investitionen in die Rüstungsindustrie sind in die als nachhaltig ausgewiesenen Fonds mit aufzunehmen. Das ist mehr als Greenwashing. Das ist die fatale Rolle rückwärts. Quelle: „Die Sprache der Zuversicht“ von Ulrich Grober

Von Hans Klumbies