Die Lehren aus den Weltkriegen bestachen in ihrer Einfachheit

Patriotisch zogen die Menschen in den Ersten Weltkrieg, im Bann eines neuerlichen Nationalismus folgte der Zweite und der Holocaust. Roger de Weck stellt fest: „Danach war das Trauma so schwer, dass es die Menschen nachhaltiger zur Vernunft anhielt als sonst üblich. Überdies stieg die Lebensdauer. Leidtragende konnten länger als vorangegangene Kohorten die abschreckende Erfahrung der Gewalt ihren Kindern und Enkeln vermitteln.“ Und die zivilisatorischen Lehren aus der Katastrophe waren von genialer Einfachheit: Rücksicht auf die Schwächeren, also soziale Marktwirtschaft, und Rücksicht auf die Nachbarn, also europäische Einigung. Das setzte den Rahmen für Kompromisse, damit Konflikte nicht abermals eskalierten, weder innerhalb der Länder noch unter den Nachbarn. Da entfaltete sich die ganze Kraft der Demokratie. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Der blanke Wille zur Macht hatte Europa ins Verderben gestürzt

Diesen Lehren aus der Geschichte verdankte Westeuropa seine Blüte nach dem Zweiten Weltkrieg. Der bleiernen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts antworte die blühende zweite. Aber im dem damals geläufigen und wenig reflektierten Wort „Nachkriegszeit“ steckte mehr, als den Zeitgenossen bewusst war. Im Rückblick erweist sich, dass mit der Nachkriegszeit eine Denkweise einherging, die es buchstäblich nur unmittelbar nach einem Krieg geben kann, sofern er einen Erkenntnisschock auslöst.

Roger de Weck erläutert: „Viele Europäer bemühten sich in den Jahren nach 1945 um Augenmaß, weil zuvor ihrem Kontinent jeder Sinn für Proportionen abhandengekommen war. Es überwog der Wille zum Ausgleich nationaler Interessen und des sozialen Gefälles, weil der blanke Wille zur Macht Europa ins Verderben gestürzt hatte.“ Kompromisse waren gut statt faul, weil die Konflikte unerträglich geworden waren. Anstelle des Schlagabtauschs hatte der Diskurs eine Zeit lang Chancen und seinen überragenden Philosophen Jürgen Habermas.

In der Bundesrepublik herrschte Maß statt Hass

Aus dem „Dritten Reich“ erwuchs die Gestalt der Bundesrepublik eine der weltweit besten Demokratien, gerade weil sie rundum Schranken der Macht zog, nachdem „deutsche Unbedingtheit“ getobt hatte. Maß statt Hass: In dieser unmittelbaren Nachkriegszeit bliebt die Geschichte sehr gegenwärtig. Nach einem Dreivierteljahrhundert schwindet aber die Gegenwart der Geschichte, wiewohl in der Bundesrepublik etwas langsamer als anderswo. Seit den siebziger Jahren nahmen sich Meinungsmacher das angelsächsische Wirtschaftsmodell zum Vorbild.

Gemeint war damit der „Raubtierkapitalismus“, vor dem Helmut Schmidt eindringlich warnte. Der typische Nachkriegspolitiker Schmidt empfand zutiefst diese für die Nachkriegszeit untypische Brutalisierung westlicher Verhältnisse. Und gleichzeitig flammte der Nationalismus auf. Roger de Weck erklärt: „Im Westen als Gegenbewegung zur Globalisierung, die mehr Lohndruck, mehr Migration brachte und die nationalen Kulturen schüttelte. In Europa als Gegenbewegung zur europäischen Einigung, die stärker in die nationale Souveränität zu greifen begann, was in der Globalisierung auch notwendig war.“ Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar