Armut war kollektiv vorhanden und strukturell bedingt

Die im Umfeld der sozialen Frage erzeugten Energien fanden ihren Weg zurück in die Politik. Die von Friedrich Engels in „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ aufgestellten Thesen prägten maßgeblich das „Kommunistische Manifest“, das er gemeinsam mit Karl Marx verfasste. Christopher Clark erklärt: „Armut war keineswegs ein neues Phänomen. Aber der „Pauperismus“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterschied sich von den hergebrachten Formen der Armut. Die Abstraktheit der neuen Wortschöpfung gibt trefflich wieder, was als die systematische Eigenart des Phänomens angesehen wurde.“ Es war kollektiv und strukturell bedingt, hing nicht von individuellen Eventualitäten wir Krankheit, Todesfällen, Verwundung oder Missernten ab. Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine’s College in Cambridge. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte Preußens.

Chronische Krankheiten und Verschuldung waren weit verbreitet

Es war dauerhaft und nicht jahreszeitlich bedingt. Christopher Clark fügt hinzu: „Und es gab Anzeichen, dass Pauperismus auch soziale Gruppen erfassen werde, deren Stellung bisher relativ sicher gewesen war, wie Handwerker – insbesondere Lehrlinge und Gesellen – und Kleinbauern.“ Spuren dieser Verelendung sind im Europa von 1848 fast überall anzutreffen, wohin man auch blickt. Eine statistische Studie der 1840er Jahre ließ vermuten, dass zwischen 50 und 60 Prozent der preußischen Bevölkerung vom Existenzminimum lebten.

Die Not der städtischen Armen wurde in der Literatur der sozialen Frage reichlich dokumentiert. Doch das Gedränge von Arbeitern in dreckigen Straßen war häufig ein Hinweis, dass die Lage auf dem Land noch schlimmer war. Chronische Krankheiten und Verschuldung waren weit verbreitet. Christopher Clark stellt fest: „Die ernährungsbedingten Unterschiede zwischen den sozialen Schichten waren so eklatant, dass die Mittelschicht – Anwälte und andere freie Berufe, Kaufleute, Geschäftsleute und Grundbesitzer – im Durchschnitt 2,85 Zentimeter größer als Textilarbeiter, Kutscher und Friseure waren.“

Versorgungskrisen führten zu einem Rückgang der Körpergröße

Auch in den deutschen Staaten wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Rückgang der durchschnittlichen Körpergröße beobachtet, besonders ausgeprägt bei den Ende der 1830er Jahre geborenen Bürgern, also bei Kindern, die in den wiederholten Versorgungskrisen des folgenden Jahrzehnts aufwuchsen. Christopher Clark ergänzt: „Die Zeitgenossen waren sich, was die Gründe für diesen Niedergang angeht, nicht einig. Konservative neigten dazu, die Auflösung der Korporationen in der modernen Gesellschaft dafür verantwortlich zu machen.“

Damit meinten sie in der revolutionären und napoleonischen Ära in der Regel die Abschaffung oder Schwächung der Zünfte und die Abschaffung des Systems gegenseitiger Rechte und Pflichten, die mit feudalen Grundbesitz verbunden waren. Christopher Clark weiß: „Friedrich Engels gab der kapitalistischen, industriellen Wirtschaft und deren ausbeuterischer Logik die Schuld.“ Carlo Petitti verwies auf die zunehmende Beschäftigung von Frauen und Kindern: Da diese nicht in Zünften organisiert und niedrigere Löhne gewohnt waren, drückten sie die Entlohnung für alle Arbeiter nach unten. Quelle: „Frühling der Revolution“ von Christopher Clark

Von Hans Klumbies