In Europa ist der Sozialstaat eher großzügig

Auch in europäischen Ländern mit ihrem großzügigen Sozialstaat gibt es einen Konflikt zwischen sinkenden Realeinkommen und steigenden Konsumerwartungen. Statt die Bürger in die Verschuldung zu treiben, übernehmen sie die Kosten einer Vielzahl von Dienstleistungen. Nouriel Roubini erklärt: „Gesundheit, Bildung, Rente, Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe landen in der Bilanz des Staats, nicht der privaten Haushalte, wobei die Steuereinnahmen nicht mit den Ausgaben mithalten.“ Dank dieser bürgerfreundlichen Politik steigen das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung schneller als die private Verschuldung. Auch wenn die Vereinigten Staaten seit jeher weniger gewillt sind, die Kosten für Sozialleistungen zu tragen, schlugen auch sie während der Finanzkrise und der Coronapandemie jede Zurückhaltung in den Wind. Nouriel Roubini ist einer der gefragtesten Wirtschaftsexperten der Gegenwart. Er leitet Roubini Global Economics, ein Unternehmen für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsanalysen.

Die Schuldenquote der USA nähert sich rasch der europäischen an

Wenn die Republikaner an der Macht sind, senken sie gern Steuern und wollen die Mindereinnahmen durch Kürzungen bei den Staatsausgaben und Sozialleistungen kompensieren. Doch das funktioniert in der Regel nicht. Nouriel Roubini ergänzt: „Demokraten dagegen richten großzügige Sozialstaatsprogramme ein, ohne die Steuern in ausreichendem Maß zu erhöhen, um diese Ausgaben decken zu können.“ So oder so nähert sich die Schuldenquote der Vereinigten Staaten rasch der europäischen an.

Das Entscheidende ist, wie Staaten und Privatpersonen Schulden aufnehmen. Nouriel Roubini erläutert: „Das eine sind die absoluten Zahlen, doch genauso besorgniserregend sind die Instrumente, mit denen Geld aufgenommen wird.“ Dabei haben große Ungleichgewichte die derzeitige Lage verursacht. Krediten mit kurzer Laufzeit können dank niedriger Zinsen ein paar Dollar oder Euro an Einsparungen bedeuten, doch die möglichen Kosten sind hoch. Wenn eine Liquiditätskrise zuschlägt und die Kredite fällig werden, wir die Umschuldung schwierig.

Liquiditätsengpässe lassen sich manchmal beheben

Das Ungleichgewicht bei der Fälligkeit – kurzfristige Verbindlichkeiten bei langfristigen illiquiden Anlagen – kann fatale Folgen haben, wie die Investmentbanken Bear Stearns und Lehman Brothers 2008 lernen mussten. Nouriel Roubini weiß: „Wenn sich Geldgeber weigern, bei Fälligkeit einen Anschlusskredit zu gewähren, dann geht Haushalten, Unternehmen und Staaten das Geld aus, das sie für den laufenden Betrieb benötigen.“ Liquiditätsengpässe lassen sich beheben, wenn Gläubiger zu einer Umschuldung bereit sind oder der Staat das vorübergehende Loch mit Hilfszahlungen stopft.

Nouriel Roubini stellt fest: „Aber wenn zahlungsunfähige Schuldner Vermögenswerte notverkaufen müssen, um ihre Gläubiger zu bezahlen, dann kann das direkt in die Insolvenz führen.“ Kredite in Fremdwährungen können ebenfalls günstiger sein als heimische Kredite zu höheren Zinsen. Doch auch das hat seine Tücken. Bindet ein Schwellenland seinen Wechselkurs an eine Fremdwährung wie den US-Dollar, dann wächst sein Außenhandelsdefizit, wenn die Währung überbewertet ist oder die Einkünfte aus dem Export sinken, zum Beispiel wenn sich die von den kleineren Volkswirtschaften ausgeführten Produkte verbilligen. Quelle: „Megathreats“ von Nouriel Roubini

Von Hans Klumbies