Parteien und Medien bilden Systeme

Vermittelnde Institutionen erfüllen ihre Aufgaben nicht automatisch von selbst, und offensichtlich operieren sie nicht im luftleeren Raum. Jan-Werner Müller erläutert: „Sie sind vielmehr Teil von Systemen: Parteien bilden Parteiensysteme, Medien bilden Mediensysteme. Deren Struktur kann sich von Land zu Land beträchtlich unterscheiden.“ Welche Art von System jeweils entsteht, hänge ganz wesentlich von dem ab, was der US-amerikanische Soziologe Paul Starr „konstitutive Entscheidungen“ genannt hat. Das lässt sich gut am Beispiel von Parteien nachvollziehen. In den USA einigte man sich 1842 auf das Prinzip der Mehrheitswahl. Das soll heißen: Der Gewinner bekommt alles, der Verlierer nichts.“ In Verbindung mit der Direktwahl des Präsidenten machte diese Entscheidung die Entstehung eines Zweiparteiensystems so gut wie unvermeidlich. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

Politische Entscheidungen öffnen oder verschließen Entwicklungspfade

Konstitutive Entscheidungen sind niemals neutral. Sie sind nicht notwendig irreversibel, aber sie verfestigen sich. Und all jene, die von den herrschenden Regeln profitieren, werden ihnen neue Legitimität zu verschaffen suchen, falls sie unter Druck geraten. Jan-Werner Müller stellt fest: „Das Mediensystem ist gleichfalls von konstitutiven Entscheidungen geprägt. Die Dezision für bestimmte, zumindest teilweise staatlich finanzierte Distributionsnetzwerke macht Medien billiger oder teurer.“

Dieses Vorgehen fördert oder behindert so beispielsweise die Entstehung einer Massenpresse. Dies geschieht ganz unabhängig von Grundentscheidungen über die Regierung von Inhalten. Politische – und damit auch immer kontingente – Entscheidungen öffnen manche Entwicklungspfade und verschließen andere. Diese Beobachtung hat zwei wichtige Implikationen. Erstens müssen Verfechter irgendwelcher Reformen eine breitere – das heißt: eine systemische – Perspektive einnehmen. Was in einem Umfeld bestens funktioniert, führt in einem anderen möglicherweise zu einer beträchtlichen Verschlechterung.

Der „Vierte Stand“ möchte die Demokratie schützen

In einer Zeit, als die USA als die führende Demokratie der Welt galten, schien das Präsidialsystem besonders demokratisch zu sein. Wie sich zeigte, funktioniert dieses System allerdings nur, weil die Parteien nicht stark polarisiert waren. Dagegen erwies es sich unter anderen Umständen als verlässlich demokratiezerstörerisch. Zweitens ist Technologie offensichtlich wichtig – aber sie ist nicht das Schicksal. Technologien bestimmen weder die rechtlichen Bedingungen ihres Einsatzes noch das Selbstverständnis ihrer Nutzer, etwa der Journalisten.

In gerade erst demokratisierten europäischen Ländern wie Westdeutschland übernahmen Journalisten eine explizit politische Aufgabe. Wenn auch nicht als Interpreten, sondern als Hüter der Demokratie. Jan-Werner Müller weiß: „Sie erhoben den Anspruch, die Demokratie vor übergriffigen oder im Geheimen agierenden Vertreter des Staates zu schützen.“ Dieses Selbstverständnis als „Vierter Stand“ wurde noch verstärkt durch das offizielle Ethos der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Sie alle unterlagen den Bestimmungen der Fairness-Doktrin, die man 1949 verabschiedete. Quelle: „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“ von Jan-Werner Müller

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar