Wahlen führen zu kollektiv bindenden Entscheidungen

Wahlen sind ein Verfahren zur Erzeugung kollektiv bindender Entscheidungen für ein politisches Gemeinwesen. Natürlich gibt es andere Möglichkeiten, solche Entscheidungen herbeizuführen: „Allein der Diktator entscheidet“ ist gleichfalls eine Regel. Jan-Werner Müller ergänzt: „Und wenn es nur darum geht, faktisch zu klären, wer die Macht hat und wer nicht, könnte man auch auf das Ergebnis eines Bürgerkriegs warten.“ Im Unterschied dazu verspricht die Demokratie, Entscheidungen auf friedliche Weise verbeizuführen. Das geschieht auf der Grundlage, dass jeder Bürger dieselbe Chance hat, daran teilzuhaben, was wiederum in der Vorstellung gründet, dass alle im Prinzip dieselbe politische Urteilskraft besitzen, die zu respektieren sei. Naturgemäß können jedoch nicht alle als Sieger aus einer Wahl hervorgehen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

Populisten beschädigen den politischen Prozess

Und selbst die Gewinner fühlen sich möglicherweise nicht recht wohl mit einem Sieg. Dabei kann man sich über das scheinbare Bedürfnis der Verlierer wundern, zumindest ein wenig politisch schizophren zu sein. Sie stimmen nicht mit den Ideen der Wahlsieger überein. Dennoch sind sie aber der Meinung, dass diese Ideen ihren Ausdruck in für alle verbindlichen Gesetzen finden sollen. Es ist nicht immer ausreichend verstanden worden, dass das mit dem Verlieren in einer Demokratie eine komplizierte Sache ist.

Jan-Werner Müller weiß: „Es geht darum, dass manche Formen des Verlierens die Demokratie aktiv unterminieren, während andere sie stärken können.“ In der heutigen Zeit am auffälligsten ist die Tatsache, dass Populisten oft eine Strategie wählen, die für sie vollkommen sinnvoll ist, aber in Wirklichkeit den politischen Prozess beschädigt. Das Phänomen, um das es spezifisch geht, ist folgendes: Populistische Parteien, die bei Wahlen nicht sonderlich gut abschneiden, stehen vor einem offenen Widerspruch.

Populisten halten die Eliten für korrupt

Wie kann es sein, dass die Populisten die einzigen moralisch legitimen Repräsentanten des Volkes sind und dennoch bei Wahlen keine überwältigende Mehrheit erzielen? Jan-Werner Müller erklärt: „Nicht alle Populisten entscheiden sich für den scheinbar einfachsten Ausweg aus diesem Widerspruch.“ Aber viele tun es, wenn sie anmahnen, man solle einmal einen zweiten Blick auf einer ihrer Lieblingsausdrücke werfen: „die schweigende Mehrheit“. Wenn die schweigende Mehrheit sprechen kann, müssen die Populisten definitionsgemäß immer bereits an der Macht sein.

Sind sie nicht an der Macht, so hat man es nicht mit einer schweigenden, sondern mit einer zum Schweigen gebrachten Mehrheit zu tun. Irgendjemand oder irgendetwas muss sie Mehrheit daran gehindert haben, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Jan-Werner Müller stellt fest: „So insinuieren Populisten häufig, sie hätten die Wahl gar nicht wirklich verloren, vielmehr müssten korrupte Eliten den Ausgang hinter den Kulissen manipuliert haben.“ Donald Trump ist da ein unübersehbares Beispiel aus jüngster Zeit. Quelle: „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“ von Jan-Werner Müller

Von Hans Klumbies

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