Jede Handlung ruft eine Wirkung hervor

Die Inder sind völlig überzeugt, dass es ein universelles Kausalitätsgesetz gibt: Jede Handlung ruft eine Wirkung hervor. Frédéric Lenoir ergänzt: „Sie denken außerdem, dass jedes Lebewesen ein Körnchen des Göttlichen – des unpersönlichen Brahman – in sich trägt: den Atman.“ Der Atman wandert von Leben zu Leben, von Körper zu Körper, bis es ihm gelingt, den endlosen Kreislauf der Wiedergeburten zu durchbrechen, weil es sich von der Unwissenheit befreit. Dadurch wird ihm bewusst, dass er nicht mit dem Ich übereinstimmt, sondern mit einem Körnchen des Göttlichen. Dies ist die Verwirklichung des Selbst. Durch spirituelle Bewusstseinsfindung befreit er sich sowohl vom Unwissen als auch aus dem Gefängnis der Leidenschaften. Indem er vom Ich zum Selbst kommt, gelangt der Mensch zur Erlösung, welche die Buddhisten „Erwachen“ nennen. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

Das Nirwana bietet ewige Glückseligkeit

Nun wird dieser Mensch nicht mehr wiedergeboren, sondern lebt in einem Zustand ewiger Glückseligkeit, dem Nirwana. Dabei handelt es sich um eine andere Dimension, die zu verstehen oder zu beschreiben mit den menschlichen Vorstellungen und Worten unmöglich ist. Der großen hinduistischen Philosophie und Psychologie des „Vedanta“ zufolge, ist die tiefste menschliche Identität der Atman, der göttliche Funke in einer Person. Frédéric Lenoir erklärt: „Das Problem ist, dass wir das sehr schnell vergessen, denn schon in den ersten Wochen unserer Existenz beginnen wir, uns mit unserem Ich zu identifizieren.“

Das Ego, das in gewisser Weise dem „Ich“ der Psychoanalyse entspricht, ist das Gefühl, als unabhängiges und einzigartiges Individuum zu existieren. Es entsteht durch den Blick der anderen sowie alle Ideen und Gefühle, die sich daraus herleiten. Das kleine Kind versteht durch den Blick seiner Mutter, dass es von ihr getrennt ist und eine eigene Identität hat. Also Bedürfnisse und Interessen, die nur ihm selbst gehören. Es wird also nach dem streben, was ihm guttut, was ihm angenehm ist.

Das Ego erzeugt das Gefühl autonomer Existenz

Dagegen wird es zurückweisen, was ihm unangenehm ist und was ihm eventuell schadet oder seinen Interessen entgegensteht. Das Ego eines Menschen ist überlebensnotwendig. Frédéric Lenoir stellt fest: „Ohne Ego würden wir alle psychisch krank werden und unfähig, uns zu verteidigen. Durch das Ego haben wir das Gefühl autonomer Existenz, streben nach dem, was gut für uns ist, und schützen uns so vor Gefahren. Ein gut strukturiertes Ich oder Ego ist unabdingbar für eine gute psychische Entwicklung des Einzelnen.“

Doch daraus ergeben sich ein Problem. Möglicherweise fokussiert man sich zu sehr auf sich selbst und seine Bedürfnisse, so dass man die anderen vergisst. Die Erziehung muss eine schwierige Aufgabe erfüllen. Sie muss dem Kind dabei helfen, ein gut strukturiertes Ich zu entwickeln. Das heißt also, sich selbst richtig einzuschätzen und sich zu lieben. Aber das Kind muss auch fähig sein, auf andere Rücksicht zu nehmen und zu teilen. Jeder Mensch muss ein Gleichgewicht zwischen Eigenliebe und der Liebe zu anderen finden. Quelle: „Weisheit“ von Frédéric Lenoir

Von Hans Klumbies

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