Abhängigkeit beinhaltet Verletzlichkeit

Gleichheit ist ein Merkmal sozialer Beziehungen und ihre Artikulation basiert auf der zunehmend anerkannten Interdependenz. Die menschlichen Grenzen kann man als relationale und soziale Einschränkungen betrachten. Für Judith Butler ist „Verletzlichkeit“ kein subjektiver Zustand, sondern ein Merkmal des geteilten oder interdependenten Lebens. Menschen sind niemals einfach nur verletzbar. Sondern sie sind immer verletzbar durch eine bestimmte Situation, eine Person oder eine soziale Struktur. Menschen sind angreifbar durch jene Umwelt- und Gesellschaftsstrukturen, die ihr Leben erst ermöglichen. Und wo diese versagen, scheitern auch die Menschen. Judith Butler weiß: „Abhängigkeit impliziert Verletzbarkeit. Wenn die sozialen Strukturen, von denen man abhängt, versagen, gerät man in eine prekäre Lage.“ Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

Globale Pflichten müssen grenzüberschreitend sein

Verletzbarkeit oder Gefährdung ist nicht ganz dasselbe wie Abhängigkeit. Judith Butler erklärt: „Ich bin, um zu leben, von jemandem, von etwas oder von bestimmten Bedingungen abhängig.“ Das eigene Leben ist nicht von den Bedingungen zu trennen, die das Leben möglich oder unmöglich machen. Anders gesagt: Weil man nicht ohne diese Bedingungen leben kann, ist man niemals vollständig individualisiert. Die Pflichten, die einen an die Mitmenschen binden, gründen in der Interdependenz.

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Die politische Organisation des Lebens selbst erfordert, dass diese Interdependenz durch Politik, Institutionen, Zivilgesellschaft und die Regierung anerkannt wird. Akzeptiert man das Bestehen oder das Erfordernis globaler Pflichten, dann lassen sich nicht auf Verpflichtungen reduzieren, die einzelne Nationalstaaten gegeneinander haben. Diese Pflichten müssen postnationaler Art und grenzüberschreitend situationsangepasst sein. Denn grenznahe oder grenzüberschreitende Bevölkerungsgruppen gehören zum umfassenderen Beziehungsnetzwerk, das von globalen Pflichten impliziert ist.

Koloniale Mächte wollen Abhängigkeiten festigen

Laut Judith Butler besteht die Aufgabe nicht darin, Selbstgenügsamkeit durch die Überwindung von Abhängigkeiten zu erlangen. Sondern sie besteht darin, Abhängigkeit als Voraussetzung für Gleichheit zu akzeptieren. Daraus ergibt sich ein unmittelbarer und wichtiger Einwand. Es gibt schließlich eine Art kolonialer Macht, welche die sogenannte „Abhängigkeit“ der Kolonisierten festigen will. Sie behauptet, Abhängigkeit sei ein wesentliches Merkmal kolonisierter Populationen. Mit dieser Art Abhängigkeit werden Rassismus und Kolonialismus gefestigt.

Hier wird der Grund der Unterordnung einer Bevölkerungsgruppe als psychosoziales Merkmal der betreffenden Gruppe selbst ausgegeben. Die Kolonialmacht versteht sich selbst als Erwachsener auf dem Schauplatz. Nämlich als derjenige, der eine kolonisierte Bevölkerung aus ihrer „kindlichen“ Abhängigkeit in ein aufgeklärtes Erwachsenensein führen kann. Judith Butler stellt fest: „In Wahrheit ist aber der Kolonisator vom Kolonisierten abhängig, denn verweigert der Kolonisierte die Unterordnung, droht dem Kolonisierer der Verlust seiner kolonialen Macht.“ Der Bruch mit solchen Formen der Unterwerfung ist Teil des Emanzipationsprozesses, der Forderung sowohl nach Gleichheit wie nach Freiheit. Quelle: „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ von Judith Butler

Von Hans Klumbies

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