Kein Ort auf der Welt ist frei vom Einfluss der Menschen

Dirk Steffens und Fritz Habekuss stellen fest: „Es gibt heute keinen Ort mehr, der vom Einfluss des Menschen frei ist. Am Grund des Marianengrabens, 11.000 Meter unter dem Meer: Müll. In den Schneeflocken der Arktis, in abgefülltem Mineralwasser, in Bier, gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot, und wahrscheinlich atmen wir es längst: Plastik.“ Menschen und Nutztiere zusammen wiegen heute mehr als zwanzigmal so viel die alle wilden Tiere. Auf drei Vögel in der Natur kommen sieben Masthähnchen. Weltweit wachsen Pflanzen kräftiger, weil sie durch das Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre gedüngt werden. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.

Das Anthropozän bedeutet nicht das Ende der Natur

In der westlichen Antarktis und auf Grönland sind die kilometerdicken Eisschilde ins Rutschen gekommen. Dirk Steffens und Fritz Habekuss vermuten: „Verschwände der Grönländische Eispanzer, würde sich durch die Gewichtsverschiebung sogar die Erdrotation verändern. Der Meeresspiegel stiege um sechs bis sieben Meter.“ Es wäre tatsächlich ein neues Erdzeitalter, der Planet nicht mehr die lebensfreundliche blaue Murmel, auf der sich die Menschheit so bequem eingerichtet hat.

Dennoch bedeutet das Anthropozän nicht „das Ende der Natur“, wie Umweltaktivist Bill McKibben sein erstes Buch nannte. Denn Natur wird nicht wertlos, wenn sie von Menschen verändert wird. Dirk Steffens und Fritz Habekuss erklären: „Viele der spektakulärsten und artenreichsten Ökosysteme Europas sind Kulturlandschaften. In England haben manche Schmetterlingsarten in den West Thurrock Lagoons ihren letzten Rückzugsort gefunden, einer Industriebrache, die jahrelang vergessen wurde.“ In Deutschland war der Artenreichtum vor Beginn der Industrialisierung am höchsten, also erst nachdem viele Wälder gerodet waren, um dort Landwirtschaft zu betreiben.

Die Menschheit muss der Natur genug Raum lassen

Denn nun erst fanden neben den Arten des Waldes auch die der Wiesen und Felder ein Zuhause. Rebhuhn, Feldhase und Kiebitze zum Beispiel, die man schon lange als heimisch betrachtet. Dirk Steffens und Fritz Habekuss betonen: „Der Mensch muss also nicht verschwinden, um Biodiversität zu fördern, oft ist sein Einfluss sogar unfreiwillig segensreich.“ So wie auf den deutschen Truppenübungsplätzen, wo jahrzehntelang Granaten explodierten und Panzer den Boden umwühlten, aber gleichzeitig viele seltene Tiere und Pflanzen eine Zuflucht fanden, die anderswo verschwunden sind.

Und der Ort des tödlichsten Nuklearunfalls in der Geschichte der Menschheit – Tschernobyl – ist heute Rückzugsort für Wölfe, Luchse oder das beinahe ausgestorbene Przewalski-Pferd. Dirk Steffens und Fritz Habekuss fügen hinzu: „Selbst in Palmölplantagen in Südostasien, für die unersetzbarer Regenwald gerodet wurde, sind biologisch arm, aber nicht völlig wertlos – manche Arten wie der Honigdachs können selbst hier noch überleben. Wir müssen die Natur also nicht verlassen, um sie zu schützen. Aber wir müssen ihr genug Raum lassen. Quelle: „Über Leben“ von Dirk Steffens und Fritz Habekuss

Von Hans Klumbies