Die demonstrierte Entblößung symbolisiert den Sex

Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Es ist die angedeutete oder demonstrierte Entblößung vor allem jener Körperteile, die das Begehren und den Sex symbolisieren, die in der Öffentlichkeit das zweideutige Interesse an der Nacktheit generieren.“ Und dies nicht nur, weil der öffentliche Raum nicht der richtige Ort für intime Signale ist. Sondern vor allem deshalb, weil das Erotische selbst der vollkommenen Entblößung gegenüber höchst ambivalent ist. Das Erotische lebt von einer Gestik des Entblößens. Diese weiß, dass das Wechselspiel von Enthüllen und Verhüllen nicht nur in einem faktischen Sinn das Begehren strukturiert. Sondern sie gibt dem Eros auch seine philosophische Dignität. Denn immerhin dachte sich das Abendland die Wahrheit als ein Weib, die seiner Enthüllung harrt. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.

Die Wahrheit ist hässlich

Dieses Weib gab sich jedoch den lüsternen Blicken der Erkenntnissuchenden niemals vollständig preis. Konrad Paul Liessmann weiß: „Die nackte Wahrheit steht deshalb auch immer für eine Erkenntnis, die man sich unter Umständen lieber erspart hätte.“ Die Wahrheit, so notierte es sich einmal Friedrich Nietzsche, ist hässlich. Aber Menschen besitzen die Kunst, damit sie an dieser Wahrheit nicht zugrunde gehen. Und genau aus diesem Grund verhüllt man auch – mehr oder weniger ambitioniert – seinen Körper.

Das Spiel von Schein und Sein nimmt deshalb in der Ästhetik des Verhüllens eine zentrale Rolle ein. Wohl kann manche Mode die sexuellen Signale des Körpers unterstreichen, gleichzeitig kann man damit auch eine Sinnlichkeit vortäuschen, die in Wahrheit nicht hält, was die Kleidung verspricht. Vor solchen Enttäuschungen bewahrt eine Verhüllung des Körpers, die überhaupt keine Rückschlüsse auf Konturen, Geschlechtsmerkmale oder gar nackte Haut mehr zulässt.

Das Erotische selbst ist in hohem Maße ein Spiel mit dem Verbergen und Entbergen von Wahrheiten. Da gibt es das zufällig oder gezielt dem Blick preisgegebene kleine Stück nackte Haut. Dieses lässt mehr erahnen als es sehen lässt und galt lange als das sinnfälligste Moment in der Dynamik erotischer Begegnungen. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Nirgendwo wir die Krise des Eros deshalb deutlicher als in der Dominanz von purer und unverblümter zur Schau gestellter Nacktheit.

Kulturen der Nacktheit sind Kulturen ohne Erotik. In einer engen unverblümt demonstrierten Nacktheit mit dem sexuellen Begehren verschwinden die Zwischentöne. Diese haben das Erotische einmal gekennzeichnet, waren aber auch gefährlich, weil sie das mehrdeutig gemacht haben. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Die Nacktheit suggeriert jene Eindeutigkeit, nach der sich unsere Gegenwart, die es verlernt hat, mit Mehrdeutigkeiten umzugehen, verzehrt.“ Quelle: „Lauter Lügen“ von Konrad Paul Liessmann

Von Hans Klumbies

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