Viele Menschen werden in starre Lebensläufe gezwungen

Sogenannte „Fachidioten“ führen ihre Follower in die Gefangenschaft der eigenen Selbstverständlichkeiten. Diese verleiten zu einem sehr gegrenzten Handeln. Die „Filter-Bubble“ ist nicht nur ein Phänomen des Digitalen, sondern zeigt sich auch im Analogen, in der Bildung. Anders Indset kritisiert: „Die Wissensgesellschaft ist ein Produkt des fatalen Nickerchens, in der trotz der Aktivierung und der Aufbruchstimmung der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts die Menschen im Wesentlichen in starre und vorbestimmte Lebensläufe gezwungen werden.“ Der Lebensplan steht bereits in der Kindheit fest. Man weiß, was einen im Leben erwartet – der Job wartet. So dient die sich zur Absolutheit gesteigerte Wissensgesellschaft der Förderung der Wirtschaft und des ökonomischen Wachstums. Auf einem kontrollierten und messbaren Bildungsweg begeben sich die Menschen in ein Leben der Konformität. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

Bildung darf im Kern nicht der Wirtschaft dienen

Das ist der radikale Gegenpol zur Idee der Aufklärung. Anders Indset erläutert: „Während Bildung heutzutage gleichgesetzt werden kann mit dem erfolgreichen Bestehen von Tests, ist sie befreit von jeglicher Neugier und Kreativität. Sie tötet persönliches Interesse und das Bedürfnis ab, verstehen zu wollen.“ Der erfolgreiche und verwertbare Abschluss ist der Motivator auf dem „Bildungsweg“. Wenn Bildung der Ökonomie und der Förderung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) dient, zahlt Bildung auf das Humankapital ein – es wird ökonomisch.

Die Rolle der Bildung kann aber im Kern nicht darin bestehen, der Wirtschaft zu dienen. Anders Indset fordert: „Bildung muss vor allem dem Menschen und dem gesellschaftlichen Zusammenleben dienen. Wollen wir die Gesellschaft verstehen, müssen wir die Wirtschaft neu denken. Dafür müssen wir bei der Bildung beginnen.“ Der Virologe Christian Drosten wurde über Nacht zum Aufklärer der Nation. Erst keine Grenzen sperren, dann doch, anschließend die Warnung, Kinder seien vermutlich genauso ansteckend wie Erwachsene.

Niemand will Fehler zugeben

Die Zahl der Viren, die sich in den Atemwegen nachweisen lässt, unterscheide sich bei verschiedenen Altersgruppen nicht. Tage später heißt es, die Kinder hätten ein deutlich geringeres Ansteckungsrisiko. Auf neue Kenntnisse muss eine neue Haltung folgen. Anders Indset betont: „Christian Drosten hat die Fähigkeit bewiesen, eigene Annahmen zu hinterfragen und zu korrigieren, eine für sich noch zu validierende neue Selbstverständlichkeit zu entwickeln.“

Dafür verdient er Respekt. Am Ende geht es eben nicht um das Gedachte oder Gesagte, sondern um das Denken an sich. Anders Indset stellt fest: „Das Problem: In der Wissensgesellschaft will niemand Fehler zugeben. Es geht um die Manifestierung der eigenen Meinung, um die Verabsolutierung von „Wissen“. Es geht um Ruhm, Rollen, Stimmen und Ego.“ Man muss die Bedeutung der Wissenschaft zugunsten der Bildung eingrenzen. Das hat, wie der Philosoph Hans Blumenberg sagt, nichts mit Wissenschaftsverachtung zu tun. Quelle: „Das infizierte Denken“ von Anders Indset

Von Hans Klumbies