Das Christentum hat dem Eros Gift zu trinken gegeben

Friedrich Nietzsche klagt, das Christentum habe „dem Eros Gift zu trinken“ gegeben. Er sei zwar nicht daran gestorben, „aber entartet, zum Laster“. Peter Trawny weiß: „Nietzsche kannte die dunkle, schmerzhafte Seite des Erotischen sehr genau: Dionysos war sein philosophisches Debut, der Gott des Rausches und der Ekstase. Das Christentum hat keinen Ort für diesen Rausch. Der Liebe der Körper wird misstraut, ja in der Sünde wird sie stigmatisiert.“ Zunächst scheint Friedrich Nietzsche recht zu haben. Über Jahrtausende hinweg sprach man der Sexualität ein eigenes Existenzrecht ab. Das Christentum gab und gibt der Liebe einen deutlich asexuellen Sinn: Nächstenliebe. In ihr spielt es keine Rolle, ob man sich vom Anderen angezogen oder abgestoßen fühlt. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.

Verbotenste Berührungen suchen den glühenden Spieß des Teufels

Wer Nächstenliebe praktiziert, ist barmherzig, weil das christliche Herz friedlich ist. Andererseits hat das Christentum die Bedeutung der Sexualität erst auf jene Höhe getrieben, auf der der Europäer das sexuelle Begehren jahrtausendelang genoss. Sex, wie man ihn heutzutage kennt, ist eine christliche Erfindung. In dieser Sicht sind das Verbot und die Ächtung kein Einwand, sondern eine ungeheuerliche Verschärfung. Der Genuss des Körpers stachelte das drohende Höllenfeuer an.

Peter Trawny stellt fest: „Wer für eine ekstatische Nacht sein ganzes Leben aufs Spiel setzen muss, erfährt die frivole Berührung stärker.“ Heute hat sich diese Verschärfung der Sexualität beinahe ganz verflüchtigt. Kaum noch jemand schert sich um die christliche Sexualmoral. Und das mit Recht. Vermutlich ist die katholische Kirche noch der letzte Ort, wo der sexuelle Missbrauch höchstwahrscheinlich ungeheuerliche Explosionen an Schmerz und Schuld verursacht. Dieses Gift trinken jene, die in den verbotensten Berührungen den glühenden Spieß des Teufels suchen. Mögen sie daran zugrunde gehen.

Dissonanz und Streit gehören zur reifen Liebe

Liebe hat ein kitschiges Image. Sie soll eine Harmonie sein, in der sich zwei Menschen in einem ausgeglichenen Verhältnis aufeinander zubewegen und nach Möglichkeit in einer Ehe eine Familie gründen. Das liegt wohl daran, dass man Liebe als grundsätzlich „gut“ betrachtet. Es ist gut und erfreulich, dass sich Menschen lieben. Doch das ist ein gefährliches Klischee, denn Liebe ist in Wahrheit etwas ganz anderes. Der Dichter Friedrich Hölderlin schreibt in seinem „Hyperion“: „Wie der Zwist der Liebenden, so sind die Dissonanzen der Welt.“

Friedrich Hölderlin fährt fort: „Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder.“ Auch für den Dichter ist Liebe eine Harmonie, allerdings eine andere. Während in der unentwickelten Auffassung von Liebe Dissonanz und Streit als ein Argument gegen sie selbst erscheint, sprechen Dissonanz und Streit in der reifen Liebe gerade für sie. Peter Trawny betont: „Wohlgemerkt: Streit und Versöhnung sind in der Liebe keine zufälligen Ereignisse. Fahrlässig, sie für ärgerliche Störfälle zu halten, die eben nur dazugehören.“ Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies

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