Die Herausforderungen für die Menschheit sind gewaltig

Die größten Herausforderungen dieser Welt – Klimawandel, Migration, Epidemien, Kriege, Ungleichheiten – lassen sich weder „lösen“ noch „besiegen“. Rebekka Reinhard ergänzt: „Auch ganze Heerscharen weicher Helden, die Anarchie und Gewaltlosigkeit in sich vereinten, könnten uns nicht den Weltfrieden bescheren. Dafür können sie mit spielerischer Leichtigkeit den ineffizienten Heroismus durchkreuzen.“ Mit jedem Akt des „Nicht-Tuns“. Bis der Lauf der Welt sich in eine andere Richtung dreht. Bis man sieht, dass die durch Schwerter, Bomben und Granaten, Strafen und Sanktionen erzeugten Risse im Gewebe der Welt allen schaden. Weil auf dem Planeten Erde nichts isoliert existiert. Sondern alles mit allem verwoben und in seiner Freiheit und Verletzlichkeit auf anderes angewiesen ist. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

Die Computer-Logik will das Unerwartete abschaffen

„Misstörend“ lautet die Übersetzung des lateinischen Adjektivs „absurdus“, was die Sache perfekt auf den Punkt bringt. Rebekka Reinhard erklärt: „Das Absurde verhält sich zu Ihrer Ratio wie Schostakowitschs wilde Oper zu Ihren Ohren. Ziemlich schräg.“ Wer zweifelt, lebt gefährlich. Zweifeln kann tiefsitzende Gewissheiten erschüttern. Im System des widerspruchsfreien Entweder-Oder wird der Zweifel daher ausgeschlossen – so wie seine engsten Verwandten: kritische Fragen, Selbstreflexion, Innehalten.

Die Computer-Logik hält nie inne. Sie läuft und läuft. Rebekka Reinhard stellt fest: „Die verblödete Vernunft setzt Geist mit Logik gleich und Logik mit technologisch beglaubigter Rationalität. Sie stülpt der Realität ihr binäres Modell über.“ Sie ersetzt Fragen durch Fraglosigkeit, Vieldeutigkeit durch Eindeutigkeit, Inhalte durch Formeln. Und: Sie ersetzt den Menschen durch ein mechanistisches Bild seiner selbst. Die Computer-Logik will das Unerwartete abschaffen – aber das Unberechenbare hat keine Off-Taste.

Die Romantik ebnet dem Absurden den Weg

Eine Situation erscheint absurd, wenn sich zwischen Erwartung und Wirklichkeit ein Abgrund auftut. Rebekka Reinhard nennt Beispiele: „Ein Schneesturm im Sommer. Ein Präsident, der Politik im Reality-TV-Format macht. Ein klitzekleines Virus, das die Welt in Ketten legt.“ Das Absurde ist die Steigerungsform des Paradoxen, Vieldeutigen und Widersprüchlichen. „Misstönende“ Absurditäten gibt es nicht nur seit jeher im wirklichen Leben, sondern seit Ende des 18. Jahrhunderts auch in der Literatur und der bildenden Kunst.

Die Romantik mit ihrer Vernunftskepsis und ihrem Sinn für Ironie ebnet dem Absurden den Weg, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wird es zum festen Bestandteil der Avantgardebewegung. Rebekka Reinhard weiß: „Die Avantgarden widersprechen allem, was kanonisch ist. Sie vertauschen Ordnung mit Chaos, Form mit Schock, Sinn mit Zufall. Die Futuristen etwa propagieren eine wilde Mischung aus Technik- und Geschwindigkeitseuphorie, Anarchismus und Militarismus. Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies