Viele Menschen geben die Zukunft quasi auf

Sobald Menschen zu viele schlechte Prognosen hören, fallen sie in eine Art Starre. Florence Gaub erläutert: „Anstatt zu handeln, Entscheidungen zu treffen, und etwas vorzustellen und die Zukunft zu beeinflussen, tun wir nichts. Wir geben die Zukunft quasi auf.“ Das ist an sich schon schlimm genug, aber das ist noch nicht alles. Negative Zukünfte können nämlich mit positiven ausbalanciert werden, ja meistens ist die Zukunft eine Mischung aus beiden, aber da, wo früher eine erstrebenswerte Zukunft lag, gähnt nun eine Leere. Früher bestand für die meisten Westeuropäer die gute Zukunft aus Wohlstand und Freiheit, und sie ging einher mit dem Wunsch, diese Zukunft in den Rest der Welt zu exportieren. Dr. Florence Gaub ist Politikwissenschaftlerin, Militärstrategin und Zukunftsforscherin. Sie leitet als Direktorin den Forschungsbereich NATO Defense College in Rom.

Im Kalten Krieg ging es auch um die Zukunft

Der Kern dieser Zukunft war die Fortschrittsphilosophie, im Wesentlichen die Überzeugung, dass es dem Menschen mit jeder Generation besser gehen wird. Florence Gaub erklärt: „Die meisten von uns hatten ihre persönliche Zukunft fest in dieser Zukunftsidee verankert, ihre wirtschaftlichen Bedingungen und die ihrer Kinder und Enkel zu verbessern.“ In Umfragen wurde die Zukunftszufriedenheit im Wesentlichen mit der Frage gemessen: „Glauben Sie, dass es Ihren Kindern finanziell besser gehen wird als Ihnen?“, und lange wurde diese Frage mit Ja beantwortet.

Das Alternativmodell war das sozialistische, das zwar ebenfalls eine bessere Zukunft versprach, aber in ihr gab es weniger Gestaltungsfreiheit. In dieser Zukunft war klar, dass alle Länder der Welt irgendwann von Arbeitern regiert werden würden. Florence Gaub stellt fest: „Der Kalte Krieg ging also nicht nur um Macht, sondern auch um Zukunft: Wo der Westen nur versprach, dass man sein Glück in Kapitalismus und Freiheit versuchen dürfe, versprach der Osten genau zu wissen, wohin die Reise ging.“

Die Unzufriedenheit mit der Demokratie nimmt zu

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war diese Zukunft aus dem Rennen, und die westliche schien gewonnen zu haben. Florence Gaub weiß: „Genau das ist es, was der amerikanische Soziologe Francis Fukuyama als „Ende der Geschichte“ bezeichnet hat, die Endstation des Fortschrittsgedankens als Zusammenspiel aus Demokratie und Kapitalismus.“ In den Jahren danach wurde die Demokratie zum weitestverbreiteten politischen System auf der Welt, und sehr viele Staaten hatten ein kapitalistisch geprägtes Wirtschaftssystem.

Doch die Zukunft ist in der Krise. Nach dem Siegeszug bis in die frühen 2000er hörte die Demokratie auf, sich als Modell in der Welt auszubreiten, ist bei etwa der Hälfte der Staaten stehen geblieben. Florence Gaub fügt hinzu: „Und nicht nur das, Menschen, die in Demokratien leben, sind höchst unzufrieden damit: 57,5 Prozent weltweit, 50 Prozent in Deutschland und 46 Prozent in Österreich.“ Die Ausnahme ist die Schweiz, hier sind über 80 Prozent der Bevölkerung sehr zufrieden mit der Demokratie. Quelle: „Zukunft“ von Florence Gaub

Von Hans Klumbies